„Aliso am See“ von Henriette Wesselny entführt die Leser in eine faszinierende Zeitreise, die sowohl die Gegenwart als auch die römische Vergangenheit der Kleinstadt Haltern am See umfasst.
Von Booktokerin und KM-Redakteurin Luisa Müller
Rezension – Der Roman, der im März 2023 veröffentlicht wurde, ist Wesselnys dritter literarischer Streich nach „Das tote Kind“ und „Angela oder wie ich meine Niere verlor“. Auf 500 Seiten bietet sie eine spannende Erzählung, die historische Elemente geschickt mit fantastischen Zeitsprüngen verbindet.
Luna Fabius, die Protagonistin, lebt in Haltern am See, einem Ort, der an der Grenze zwischen Ruhrgebiet und Münsterland liegt. Doch Lunas Leben ist alles andere als gewöhnlich. Sie erlebt geheimnisvolle Zeitsprünge, die sie mit ihrem Bewusstsein mal ins heutige Haltern, mal in die Römerzeit vor 2000 Jahren versetzen. Dabei bleibt ihr physischer Standort unverändert, was die Handlung besonders spannend macht. So befindet sich ihr Elternhaus beispielsweise genau an der Stelle, an der vor 2000 Jahren das römische Hauptlager stand.
Die Autorin schafft es, durch die Wechsel zwischen den Zeiten eine dichte Atmosphäre zu erzeugen. Lunas Herausforderungen und Erlebnisse in beiden Epochen sind detailliert und mitreißend beschrieben. Der ständige Wechsel der Perspektiven hält die Spannung hoch und sorgt dafür, dass die Leser immer wieder neu in die Geschichte eintauchen müssen. Dies führt zu einem fesselnden Leseerlebnis, das den Roman schwer aus der Hand legen lässt.
Luna ist eine vielschichtige Figur, die nicht nur mit den Zeitsprüngen, sondern auch mit alltäglichen Problemen kämpft. Wesselny zeichnet ihre Protagonistin als eine starke, aber auch verletzliche Person, die sich sowohl in der modernen Welt als auch in der rauen Römerzeit behaupten muss. Die Doppeldeutigkeit der Situation – zwei Lunas in verschiedenen Zeiten – wird geschickt genutzt, um Parallelen und Unterschiede der jeweiligen Epochen herauszuarbeiten.
Das Buch thematisiert auch tiefere Fragen: Wie beeinflusst unsere Vergangenheit unser heutiges Leben? Welche Bedeutung haben historische Orte für unsere Identität? Diese Fragen sind nicht nur für die Protagonistin von Bedeutung, sondern regen auch die Leser zum Nachdenken an.
Henriette Wesselny zeigt in „Aliso am See“ ihre erzählerische Stärke. Ihr Schreibstil ist flüssig und detailliert, ohne dabei langatmig zu werden. Sie versteht es, historische Fakten und fiktive Elemente nahtlos zu verbinden. Die realen Örtlichkeiten in Haltern am See sind präzise und lebendig beschrieben, was der Geschichte Authentizität verleiht. Wesselnys Erfahrung und ihr tiefes Wissen über die Stadt, in der sie seit ihrer Geburt lebt, fließen spürbar in den Roman ein.
Die Autorin, Jahrgang 1952, hat in ihrem Leben viele Erfahrungen gesammelt, die ihre schriftstellerische Arbeit beeinflusst haben. Ihre berufliche Tätigkeit als Sozialpädagogin im Jugendamt und persönliche Erlebnisse haben ihren bisherigen Werken eine besondere Tiefe und Authentizität verliehen. In „Angela oder wie ich meine Niere verlor“ verarbeitete sie ihre eigenen Krankenhausaufenthalte und persönliche Schicksalsschläge. Auch in „Das tote Kind“ finden sich Elemente ihrer beruflichen Erfahrungen wieder, wenn auch in fiktiver Form.
„Aliso am See“ ist ein fesselnder Roman, der durch seine einzigartige Mischung aus historischer Genauigkeit und fantastischen Elementen besticht. Henriette Wesselny gelingt es, die Leser auf eine spannende Reise durch die Zeit mitzunehmen und dabei tiefere Fragen nach Identität und Geschichte aufzuwerfen. Die detaillierten Beschreibungen und der flüssige Schreibstil machen das Buch zu einem wahren Lesevergnügen. Für Liebhaber historischer Romane mit einem Hauch von Fantasie ist „Aliso am See“ eine absolute Empfehlung. (lm)
25 Euro, Taschenbuch, Kater Literaturverlag, Roman, 500 Seiten, 14,8 x 21 cm, ISBN 978-3-944514-49-9