Wackers vielschichtiges Gesamtwerk als einer der wichtigsten österreichischen Beiträge zur Neuen Sachlichkeit in Europa im Fokus.
Kunst/Wien – Mit einer großen Retrospektive, die bis 16.02.2025 zu sehen ist, veranschaulicht das Wiener Leopold Museum Rudolf Wackers (1893-1939) vielschichtiges Oeuvre als einen der essentiellsten österreichischen Beiträge zur Neuen Sachlichkeit in Europa. Anhand von rund 250 Exponaten zeichnet Rudolf Wacker. Magie und Abgründe der Wirklichkeit die Entwicklung des Vorarlberger Malers und Zeichners nach, beleuchtet thematische Schwerpunkte seines Schaffens und zeigt die hohe künstlerische Qualität sowie Perfektion seines Gesamtwerks auf. Die Ausstellung spürt Wackers künstlerischer Entwicklung in lockerer Chronologie nach, wobei in den einzelnen Ausstellungsräumen zentrale Themenschwerpunkte seines Schaffens beleuchtet werden.
Im Fokus von Wackers Interesse standen seine nächste Umgebung, die in seinen Stillleben verdichtete „Magie des Alltäglichen“, die Landschaften seiner Heimat, der weibliche Akt sowie das Selbstporträt. Sein Leben und Schaffen war untrennbar mit den gesellschaftspolitischen Ereignissen der 1910er- bis 1930er-Jahre verwoben: 1914 führte der Erste Weltkrieg den engagierten Kunststudenten von Weimar an die Ostfront, danach für viele Jahre in russische Kriegsgefangenschaft. Wieder in Freiheit, erreichte Wackers expressive Handschrift in der Zeichnung frühe Höhepunkte. Mitte der 1920er-Jahre entwickelte er eine eigenständige neusachliche Position, welche im Leopold Museum mit ausgewählten Arbeiten der deutschen Neuen Sachlichkeit, u. a. von Albert Birkle, Otto Dix, Alexander Kanoldt, Anton Räderscheidt, Georg Schrimpf oder Gustav Wunderwald in Dialog gesetzt wird. Während des Aufstiegs des Nationalsozialismus in den 1930er-Jahren schuf Rudolf Wacker verschlüsselte Stillleben, welche auf subtile Weise die Abgründe und Bedrohlichkeit der damaligen Wirklichkeit nachvollziehbar machen.
„In der Vergangenheit hat sich insbesondere Rudolf Wackers Heimat Vorarlberg mit großem Engagement um die Aufarbeitung seines Nachlasses verdient gemacht. Ebendort fanden die letzten monografischen Ausstellungen statt – 1993 im Kunsthaus Bregenz, 2019 im vorarlberg museum. In Wien hingegen war die erste und bis dato letzte Präsentation seines Werkes im Jahr 1958 im Belvedere zu sehen. Im Rahmen eines Symposiums im Museum Ortner hat sein Schaffen 2022 weitreichende wissenschaftliche Beachtung gefunden. Aufgrund des Sammlungsschwerpunkts der österreichischen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts und der besonderen Wertschätzung des Sammlerehepaars Rudolf und Elisabeth Leopold für Wacker ist das Leopold Museum der ideale Ort für eine längst überfällige, umfassende Retrospektive in Wien.“
Hans-Peter Wipplinger, Direktor Leopold Museum
Künstlerische Anfänge und Kriegsgefangenschaft, Wacker als Lesender und Schreibender
Rudolf Wacker. Magie und Abgründe der Wirklichkeit widmet sich zunächst den künstlerischen Anfängen, den Jahren der Gefangenschaft in Sibirien während des Ersten Weltkriegs sowie dem darauffolgenden Neubeginn des Künstlers. Wieder in Freiheit, lernte er in Berlin seine spätere Ehefrau kennen – die Kunstgewerblerin Ilse Moebius sollte ihren Mann und dessen Kunst zeitlebens unterstützen. Ausgewählte Bücher aus Wackers Nachlass sowie Tagebücher zeigen ihn als einen umfassend interessierten Leser und aufmerksamen wie kritischen Chronisten seiner Zeit:
„Rudolf Wacker war nicht nur Zeichner und Maler, sondern auch ein geradezu exzessiver Leser und Autor: Er hinterließ 16 Tagebücher sowie hunderte Briefe, die seine Persönlichkeit, seine künstlerischen Vorstellungen wie natürlich auch die Zeitgeschehnisse in selten dokumentierter Weise lebendig erfahrbar machen. In akribisch geführten Listen notierte er die gelesenen Bücher, von kunsthistorischer Fachliteratur über philosophische oder wissenschaftliche Werke bis hin zu literaturhistorischen Klassikern. Sie gewähren einen weiteren Zugang zu seiner Denk- und Arbeitsweise und begleiten als stille Kommentatoren seinen Lebensweg. Wackers Leben und Kunst lässt sich so aus verschiedenen Perspektiven betrachten, was die Beschäftigung mit diesem Künstler einmal mehr besonders und faszinierend macht.“
Marianne Hussl-Hörmann, Kuratorin der Ausstellung
Frauenbildnisse und Selbstporträts
Sein eigenes Porträt war für Wacker zentrales Thema. Zudem setzte er sich stets intensiv mit Fragen der Sexualität und Körperlichkeit auseinander:
„Insbesondere der weibliche Akt faszinierte Wacker. Trotz seiner aufgeschlossenen Sexualmoral war er einem konservativen Verständnis der Geschlechterrollen verpflichtet: Künstlerische Kreativität sei allein dem Mann vorbehalten – als einzige Ausnahme ließ er Paula Modersohn-Becker gelten. Sein Frauenbild prägten stereotype, dem patriarchalen Zeitgeist entsprechende Vorstellungen. Einerseits erklärte er den ,Muttertypus‘, den er in seiner eigenen Mutter sowie seiner Ehefrau ausgebildet glaubte, zum Ideal der Frau. Andererseits faszinierte ihn eine weibliche ,sexuelle Verruchtheit‘, welche Wacker etwa seiner Bekannten Marie Klimesch zuschrieb. Zwischen diesen beiden Polen pendeln seine gemalten, gezeichneten und gedruckten Frauenbilder.“
Laura Feurle, Kuratorin der Ausstellung
Unheimliche Puppen und „idyllische“ Landschaften
In den frühen 1920er-Jahren avancierten Puppen erstmals zu den Hauptfiguren in Wackers Gemälden. In den 1930er-Jahren waren es abermals Puppen, mit denen er Ideologiekritik am Nationalsozialismus zum Ausdruck brachte: Entmündigte Marionetten, subtile Widerständlerinnen, explizit weibliche Puppenkörper mit ausgekugelten Gelenken oder zerklüfteten Gesichtern wiesen auf eine durch den faschistischen Zeitgeist bedrohte Welt hin.
Für seine landschaftliche Umgebung begeisterte sich der Künstler trotz zwiegespaltenem Verhältnis zur Heimat uneingeschränkt – immer wieder bildete er vermeintlich idyllische Landschaften ab, während er, im Gegensatz zu Künstlerkolleg*innen wie Gustav Wunderwald und Albert Birkle, die moderne Lebenswelt der Großstädte ausblendete. Kritik an der zunehmenden Verrohung der Gesellschaft baute Wacker auf subtile Weise anhand von verdorrten Zweigen, bröckelndem Wandputz oder vernachlässigten Hinterhöfen ein.
Neue Sachlichkeit, „Magische Wirklichkeit“, verschlüsselte Stillleben und Akte des Widerstands
In den 1920er-Jahren wurde der Stil des Expressionismus in Deutschland von einer sachlichen Darstellungsweise abgelöst, welche aktuelle gesellschaftliche, politische und soziale Erschütterungen nach den Kriegserfahrungen treffender abzubilden vermochte. Im Leopold Museum sind Wackers Frauenbildnisse zu sehen – wobei Darstellungen der modernen „Neuen Frau“ in seinem Werk fehlen – sowie Selbstporträts, in welchen er sich als modischer „Neuer Mann“ darstellt.
Ein weiteres Kernthema war die Welt der alltäglichen, meist unbeachteten Dinge. Die Ausstellung widmet sich Wackers verschlüsselten Stillleben, mit denen er auf subversive Weise Abgründe der Wirklichkeit durchscheinen ließ. Naive Kinderzeichnungen und formenreiche Kakteen, Blumen und Spielzeug, präparierte Tiere oder gotische Skulpturen sind in den rätselhaften Serien der 1930er-Jahre abgebildet, wobei Wackers komplexe Kompositionen oftmals versteckte Botschaften enthielten.
Nach seiner erfolglosen Bewerbung um die Professur an der Akademie der bildenden Künste in Wien übernahm Wacker 1936 einen Kurs in Aktzeichnen an der Bregenzer Gewerbeschule. Offiziell war es untersagt mit Aktmodellen zu arbeiten, also engagierte er im Privaten Modelle und zeichnete sinnliche Frauenakte, welche er den scharfen Zensuren und dem martialischen Soldatenkult der Nationalsozialisten entgegensetzte.
In den letzten Lebensjahren vor seinem frühen Tod resignierte Wacker zunehmend. Er geriet ins Visier der Gestapo, wurde der Nähe zum Kommunismus verdächtigt und verlor seine Funktionen in regionalen Künstler*innenvereinigungen sowie seinen Posten als Zeichenlehrer in Bregenz. Neben eindringlichen Puppenporträts bildete Wacker nun Aquarien und Pilze ab, insbesondere aber morbide, auf drohendes Unheil hinweisende Herbststräuße.
Zur Ausstellung ist ein umfassender Katalog in deutscher und englischer Sprache erschienen, mit Beiträgen von Laura Feurle, Herbert Giese, Marianne Hussl-Hörmann, Ute Pfanner, Rudolf Sagmeister und Kathleen Sagmeister-Fox, Jürgen Thaler sowie einem Vorwort von Hans-Peter Wipplinger.
Kuratorinnen: Laura Feurle, Marianne Hussl-Hörmann