Das Schlüsselwerk der Moderne stellt eine wichtige Ergänzung der Expressionismus-Sammlung des Museums dar.
Kunst – Eine großzügige Donatorin ermöglichte dem Leopold Museum den Ankauf des um 1904 entstandenen Ölgemäldes Mutter und Kind von Paula Modersohn-Becker (1876-1907). Das Meisterwerk der Wegbereiterin des Expressionismus stammt aus einer deutschen Privatsammlung und konnte Anfang Oktober in London erworben werden.
Leopold Museum Direktor Hans-Peter Wipplinger setzte nach Erscheinen des Auktionskataloges alle Hebel in Bewegung, um einen Erwerb des Kunstwerkes für das Museum zu ermöglichen. Er erhielt das Pouvoir einer Privatperson, das Gemälde um rund 380.000 Euro bei Christie´s zu ersteigern.
„Dank dieses Mäzenatentums war es uns möglich, ein herausragendes Kunstwerk der radikalen Vorreiterin der Moderne, Paula Modersohn-Becker, für unsere Sammlung zu sichern. Auf diese Weise können wir dieses Schlüsselwerk der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts fortan im Leopold Museum der Öffentlichkeit zugänglich machen.“
Hans-Peter Wipplinger, Direktor des Leopold Museum
Wichtige Ergänzung der permanenten Präsentation zum Deutschen Expressionismus
Das Werk ergänzt künftig den Saal zum Deutschen Expressionismus, der seit Sommer auf Ebene 0 des Museums zu sehen ist. Unter den 17 in der ständigen Schau gezeigten Werken sind weitere Gemälde von Modersohn-Becker als Dauerleihgaben präsentiert. Diese – aus der Sammlung des Leopold Museum wie von Dauerleihgebern stammenden Gemälde – sind eingebettet in eine Auswahl herausragender Arbeiten des Deutschen Expressionismus – von Gabriele Münter und Marianne von Werefkin über Erich Heckel, Alexej von Jawlensky und Wassily Kandinsky bis zu Ernst Ludwig Kirchner, August Macke und Max Pechstein.
Desiderat für österreichische Museen
Das neu erworbene Modersohn-Becker Gemälde des Leopold Museum ist das einzige Werk der Künstlerin in einer öffentlichen Sammlung in Wien und darum ein absolutes Desiderat für österreichische Museen. Lediglich das Lentos Museum in Linz hat ein Werk der Künstlerin in seinem Bestand.
Paula Modersohn-Becker – Ein Leben zwischen Worpswede und Paris
Zahlreiche Bilder der Künstlerin entstanden in der norddeutschen Künstlerkolonie Worpswede, der sie sich 1898 angeschlossen hatte. Der Maler Otto Modersohn, den sie drei Jahre später heiratete, gehörte ebenso dieser Künstlergemeinschaft an. In dem kleinen Ort bei Bremen schuf sie zahlreiche Kinderdarstellungen, u.a. die im Leopold Museum präsentierten Werke Brustbild Elsbeth mit Blume in den Händen vor Landschaft (1901) und das im selben Jahr entstandene Gemälde Drei sitzende Mädchen mit Strohhüten und Blumenkränzen. Ebenfalls gezeigt wird das 1903 entstandene Bild Sitzendes Mädchen mit Schafen am Weiher. Teil der Fokusschau ist auch das Porträt eines italienischen Mädchens, welches Modersohn-Becker 1906 während ihres letzten Aufenthaltes in Paris schuf. In diesem Jahr besuchte sie Maurice Denis, einen Hauptvertreter der Künstlergruppe Nabis. Die Künstlerin war wie dieser auf der Suche nach der „großen Einfachheit der Form“ (Paula Modersohn-Becker). Ein Jahr später, 1907, verstarb die Künstlerin – wenige Wochen nach der schwierigen Geburt ihrer Tochter Mathilde – im Alter von nur 31 Jahren. „Tilles“ Leben hingegen umspannte beinahe ein Jahrhundert. Sie starb 1998 im 91. Lebensjahr.
Hinwendung zu weiblichen Motiven
„In gleichem Maße, wie sie sich mit bildimmanenten Konstruktionsaspekten am Beginn der Avantgarde auseinandersetzte, beschritt die Künstlerin bei den Bildinhalten neue Wege. In der Sujetwahl sticht vor allem ihre Hinwendung zu weiblichen Motiven ins Auge. Sieht man von wenigen männlichen Porträts wie jenen von Rainer Maria Rilke oder Otto Modersohn ab, so sind weibliche Figurenbilder, Mutter-Kind-Darstellungen, Kinderbilder und Frauenporträts vorherrschend“, erläutert Hans-Peter Wipplinger in seinem Aufsatz Paula Modersohn-Becker. Zur Geschichte einer künstlerischen und persönlichen Identitätssuche (Hirmer Verlag, 2010). In ihren Werken spiegelt sich das einfache und ländliche Leben, so auch in den Mutter-Kind-Bildern. Das Thema, welches vor allem in den Madonnendarstellungen der christlichen Kunst präsent ist, wird von Modersohn-Becker human und intim dargestellt, steht symbolisch für Neuanfang und Aufbruch. Es ist keine thronende Maria mit Jesuskind, die wir sehen, sondern die Szene einer einfachen Frau, die im Schoß ihr Kind geborgen hält, das sowohl neugierig als auch ein wenig ängstlich in die Welt blickt. (opm)