Ein Mittwochabend in Bochum. Die Sonne ist längst untergegangen, doch rund um den Bahnhof Langendreer herrscht reger Betrieb. Menschen strömen zum Eingang, lachen, rauchen, umarmen sich. Etwas liegt in der Luft – etwas, das nach Sommer schmeckt, nach Freiheit klingt, nach Musik, die keine Landkarte braucht.
Von KM-Redakteurin Nadja Becker
Musik – Drinnen ist es heiß. Sehr heiß. Schon eine halbe Stunde vor Konzertbeginn ist der Saal bis zum Rand gefüllt. Von der Bar bis zur Bühne: Menschen. Schulter an Schulter, erwartungsvoll. Tanzen? Nur wer sehr geübt ist im Bewegen auf der Stelle. Aber niemand beklagt sich. Denn alle wissen: Gleich geht’s los.

Dann, etwas verspätet, betritt Locomondo die Bühne – und mit einem Schlag wird klar, warum diese Band in Griechenland Kultstatus genießt und weit über die Landesgrenzen hinaus als musikalischer Botschafter gefeiert wird. Die ersten Akkorde erklingen, die ersten Offbeats setzen ein, die Menge beginnt zu wippen, zu singen, zu jubeln.
Markos Koumaris, charismatischer Sänger und Gitarrist, erobert das Publikum mit der ersten Ansage. Auf Deutsch. Dann auf Englisch. Dann auf Griechisch. Ein Sprachenwechsel so fließend wie der Musikstil, den Locomondo verkörpert. Reggae trifft Rembetiko, Dub küsst Ska, Karibikfeeling im Takt des Mittelmeers.

Die Band, seit über zwei Jahrzehnten auf den Bühnen Europas unterwegs, ist ein eingespieltes Kollektiv aus Klangarchitekten. Neben den klassischen Rockinstrumenten sorgen Akkordeon, Bouzouki, Baglama und Keyboards für eine klangliche Vielfalt, die ihresgleichen sucht. Dabei wirkt nichts überladen. Alles passt. Alles fließt.
Was viele im Publikum vielleicht nicht wissen: Locomondo hat mit Größen wie Manu Chao, Alpha Blondy oder The Wailers gespielt. Ihre Karriere nahm 2005 Fahrt auf, als sie mit Vin Gordon, dem Posaunisten der Skatalites, das Album „12 meres stin Jamaica“ in Kingston aufnahmen – im legendären Studio One. Ein mutiges Projekt, das sich auszahlen sollte. Noch im selben Jahr entdeckte der deutsche Musikvermittler Nikos Nikiforos das Album in einem Plattenladen in Griechenland – und war elektrisiert. Es war der Beginn einer Partnerschaft, die nun mit einem 20-jährigen Jubiläum gefeiert wird.
Dass Locomondo nicht nur Ohren, sondern auch Herzen berührt, zeigte sich auch in Bochum bei einem der emotionalen Höhepunkte des Abends: Als die ersten Töne von „Frangosyriani“ erklingen, dem neuinterpretierten Rembetiko-Klassiker, entsteht ein Moment, in dem die Zeit für einen Augenblick stillzustehen scheint. Viele singen mit. Einige schließen die Augen. Andere tanzen, als gäbe es keine Enge. Nicht zufällig war es genau dieses Lied, das Fatih Akin 2009 für seinen Film „Soul Kitchen“ auswählte. Ein Song, der die Seele tanzen lässt. Und ein Symbol für Locomondo selbst: Verwurzelt, aber offen. Experimentierfreudig, aber geerdet. Global, aber zutiefst menschlich.
Bochum war nicht nur der Tourauftakt, sondern auch ein musikalischer Beweis dafür, dass Weltmusik mehr sein kann als ein Genre: nämlich ein Ort. Ein Zustand. Ein Zuhause für alle, die zuhören, mitsingen, sich bewegen – oder einfach nur da sind. (nb)
